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zu sagen, man könne mit jedem Einkommen glücklich sein, den Arbeiter damit zu trösten, daß seine Vorfahren es noch viel schlimmer gehabt, in Erdhöhlen gewohnt und von Eicheln gelebt hätten. Wer das für einen Trost hält, stellt sich auf den Boden jener englischen Pairs, welche alles in Ordnung erachteten, wenn der Arbeitslohn ausreiche, um so viel Kohlenstoff und Stickstoff in ordinärster Form einkaufen zu können, daß Hungerkrankheiten sich nicht einstellten („to avert starvation diseases"). Und was nun die Tröstungen der Religion angeht, liegt nicht eine Verlegung aller Menschenwürde darin, wenn eine gebildete, in der Wolle sigende Minorität alle Genüsse der Kultur für sich verlangt, der Menge aber für ihre harte Arbeit, für ein Leben von Entbehrungen nur den Kirchenglauben bietet, die Hoffnung auf ein Jenseits, die nicht mehr zu haben die Mehrzahl der Besißenden offen eingesteht. Es ist das, um wieder mit Schmoller zu reden, eine Dosis aristokratischer Weltauffassung, die unsere Zeit eben einfach nicht mehr verträgt. Wie Goethe einmal sagt: „Wenn alle menschliche Weisheit vor Gott Thorheit wäre, so wäre es nicht der Mühe werth, siebzig Jahre alt zu werden," so darf man hier ähnlich behaupten: Wenn für das wahre Glück der Menschen die ganze materielle und geistige Kultur gleichgültig ist, derart, daß der ärmste Proletarier ohne sie wahrhaft glücklich sein, d. h. zur Entwickelung seiner Anlagen und zur Erfüllung seines Lebenszweckes gelangen kann, so ist die Bemühung der Weltgeschichte. um fortschreitende Kultur ein thörichtes, überflüssiges Werk.

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Doch genug von dieser seltsamen pessimistischen und zugleich fatalistischen Sozialphilosophie, welche den Fortschritt allein für eine gut situirte Minderheit als etwas Selbstverständliches in Beschlag nimmt und der durch unabwendbares Verhängniß zur Armuth verdammten Mehrheit Zukunftswechsel oder doch Anweisungen auf Ersagmittel giebt, die zum größten Theile unerreichbar bleiben.

Diese Art, das große Räthsel zu lösen, warum Fortschritt und Armuth so oft in intimer Harmonie erscheinen, findet heute, dank dem geläuterten Rechtsgefühl und der humaneren Auffassung der Pflichten der Gesellschaft gegen die Einzelnen und der Einzelnen gegen die Gesamtheit wieder, immer weniger Bewunderer und Gläubige.

Um so mehr eine andere Erklärung des Problems, die des Sozialismus. Auch dieser ist, wenigstens in Bezug auf die gegenwärtige Ordnung der Dinge, pessimistisch, aber er glaubt das Mittel gefunden zu haben, welches allein die fortschreitende Kulturentwickelung auf alle Mitglieder der Gesellschaft auszudehnen vermöge und damit eine Beseitigung der sozialen Differenzirung herbeiführen könne. Eine andere Organisation der Gütererzeugung soll das Heil bringen, denn allein die überkommene kulturfeindliche Produktionsordnung ist schuld an dem Parallelismus zwischen Fortschritt und Armuth. So lange der Arbeiter nicht Eigenthümer der Arbeitsmittel ist, so lange er, mit anderen Worten, Lohnarbeiter ist und eine Trennung zwischen Kapital und Arbeit besteht, bleibt aller Fortschritt für die Massen unwirksam, bleiben sie hoffnungslos zur Armuth verurtheilt. „Die Beschränkung des durchschnittlichen Arbeitslohnes auf die in einem Volke gewohnheitsmäßig zur Fristung der Existenz und zur Fortpflanzung erforderliche Lebensnoth. durft - das ist," so schreibt der größte sozialistische Agitator Ferdinand Lassalle, „das eherne und grausame Geseß, welches den Arbeitslohn unter den gegenwärtigen Verhältnissen beherrscht." Und die grausame" Wirkung dieses „ehernen“ Gesezes besteht nach demselben Autor darin, daß der Arbeiter von der durch die Fortschritte der Civilisation gesteigerten Produktivität, daß er von der gesteigerten Leistungsfähigkeit seiner eigenen Arbeit nothwendig ausgeschlossen bleibt. Denn auf den Lohn der Arbeit haben diese, den Fortschritt der Menschheit

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tragenden Momente gar keinen Einfluß. Der ganze Ueberschuß des Arbeitsertrages über das zur Lebensfristung absolut Nothwendige fällt ja als Unternehmergewinn dem Arbeitsherrn, dem Kapitalisten zu. Für die Arbeiter also immer nur die Lebens. nothdurft, für den Unternehmer immer alles, was über dieselbe Hinaus produzirt wird. Wachsen kann also immer nur der Reichthum der Kapitalisten, wachsen nur die Kluft zwischen Reich und Arm.

Würde aus irgend welchen Gründen mal der Arbeitslohn die Grenze des nothwendigsten Lebensunterhaltes überschreiten, so kann das nur von kurzer Dauer sein und ändert in der Stellung des Arbeiters zu der Gesellschaft nichts. Bald tritt infolge des größeren Nahrungsspielraums eine Vermehrung der Arbeiterhände ein, und der Lohn sinkt wieder auf die natürliche, durch das oben gekennzeichnete Verhältniß bestimmte Höhe. Es ist darum auch eine selbstverständliche Konsequenz dieser sozialistischen Prämisse, daß auf die arbeitenden Klassen von dem sich infolge der verbesserten Technik und des Kulturfortschrittes überhaupt beständig vergrößernden Gesamtgütererzeugniß ein immer kleineres Quantum entfallen muß. Mit dem wachsenden Kulturfortschritt wächst auch die soziale Differenzirung, je größer der erstere, um so verbreiteter und intensiver auch der Pauperismus. Infolge der ökonomischen Abhängigkeit des Arbeiters von dem Käufer seiner Arbeitskraft ist die rechtliche Freiheit und Gleichheit aller Staatsbürger für ihn nur eine Fiktion. Der moderne Arbeitsvertrag, welcher an die Stelle der Befehle des Sklavenhalters getreten ist, sagt Rodbertus, 10 ist nur formell nicht materiell frei, denn der Hunger erseßt fast völlig die Peitsche. Was früher Futter hieß, heißt jezt nur Lohn.

So die sozialistische Auffassung des uns hier vorliegenden Problems, die, wer wollte es leugnen, auf den ersten Blick, insbesondere für die große Menge, etwas Bestechendes,

Verführerisches hat. Wie anders wäre es sonst zu erklären, daß dieses für die ganze überlieferte historische Rechts- und Wirthschaftsordnung, die doch die Trägerin unserer Kultur bis auf den heutigen Tag gewesen ist, so vernichtende Verdikt in fast allen Ländern Tausende von überzeugten Anhängern gefunden hat!

Aber hat der Sozialismus wirklich recht, ist die Lage der arbeitenden Klassen in der Aera der sogenannten kapitalistischen Produktion hoffnungslos, zeigt die soziale Geschichte für diese thatsächlich einen Stillstand oder gar einen Rückschritt in der materiellen, moralischen und intelektuellen Lebenshaltung? Wäre es also wahr, daß der so laut gepriesene wirthschaftliche Aufschwung unseres Jahrhunderts lediglich einem stagnirenden Elend, das extensiv und intensiv eine wachsende Tendenz aufweist, als glänzende Folie dient! Die Lebenshaltung der großen Menge in den verschiedenen Zeiten wäre immer dieselbe geblieben, immer die, um Lassalles Worte zu gebrauchen, „auf dem untersten Rande der erforderlichen Lebensnothdurft herumzutanzen“?

Wenn wir zur Eruirung der Wahrheit und zur Zurückweisung der sozialistischen Lösung unseres Problems jezt die Geschichte sprechen lassen, so dürfen wir das mit um so größerem Rechte thun, als gerade die Wortführer des Sozialismus auf diese als ihre beste Waffe sich stüßen zu können glauben. Karl Mary und Friedrich Engels, die für den internationalen Sozialismus einflußreichsten Schriftsteller, haben ihre, die bestehende Ordnung bekämpfenden Theorien den praktischen wirthschaftlichen Verhältnissen entnommen, die sie umgaben. Durch nichts mehr ist ihre Propaganda bis auf den heutigen Tag so bestechend und wirkungsvoll geblieben als dadurch, daß sie ihrem Publikum die wahrhaft entsehliche Lage vorhalten, in welche der neue gewaltige wirthschaftliche Aufschwung in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts die Arbeitsmassen gebracht

hat. Denn über Trümmer und Leichen hat der Fortschritt seinen Triumphzug gehalten; er hat das alte Elend vermehrt und neues erzeugt bis zu einem Grade, daß jedes Maß der sittlichen Bindung und der thatsächlichen Zusammengehörigkeit der einzelnen Bevölkerungsklassen zerstört zu sein schien. Es ist England, welches, weit voraus in der wirthschaftlichen Entwickelung, am frühesten und am stärksten auch die Schattenseiten dieses Fortschrittes aufweist. Hier zuerst konnten in Ausnuzung der günstigen geographischen Lage und der alten Handelsbeziehungen die großartigen Erfindungen der Neuzeit, die verbesserte Technik, die gewinnbringende Massenproduktion in einem aufs höchste entwickelten Industriesysteme verwirklicht werden. Englands Arbeiterverhältnisse, wie sie sich unter dem direkten Einflusse dieses Aufschwunges in der Fabrikindustrie in den ersten und mittleren Decennien unseres Jahrhunderts herausbildeten, sind es darum auch, welche dem Sozialismus, dessen fähigsten Köpfe damals zur Zeit der Reaktion auf dem Kontinent in England eine Zufluchtsstätte gefunden hatten, für das herrschende System typisch erscheinen.11 Aus jenen Arbeiter. zuständen wird die Haltlosigkeit der bestehenden Ordnung und die Nothwendigkeit der Einführung einer neuen gesellschaftlichen Grundform nachgewiesen.

Wir können nun offen mit dem Sozialismus eingestehen : der Fortschritt des 19. Jahrhunderts hat Menschenopfer unerhört gekostet, wir können das zugeben, ohne dadurch genöthigt zu sein, uns den sozialistischen Konsequenzen anzuschließen. Diese Konsequenzen sind eben falsch und mußten falsch gezogen werden, weil dem Sozialismus eben die historische Auffassung der Neubildungen fehlte, weil er die Uebelstände, welche ihn gerade umgaben, nicht al s Begleiterscheinungen eines Durchgangsstadiums, sondern als etwas Unveränderliches ansah, unveränderlich, so lange die von ihm bekämpfte Produktionsform bestehen blieb. Damit verfiel er in

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